Einmal Krebs – hin und retour

Ja, es ist alles wieder in Ordnung. Alle Krebszellen entfernt. Kein Befall des Systems mehr vorhanden. Mir geht es gut und es war „nur“ ein Melanom. Also – wozu darüber schreiben, ist doch alles gut gegangen.

Ist es. Und dafür bin ich dankbar.

Was bleibt sind Eindrücke . . . zum Beispiel als ich nach der OP aufgewacht bin. Mir war unendlich schlecht und ich war unendlich traurig. Wieso weiß ich nicht, als hätte sich eine fremde Traurigkeit auf mich gelegt. Da lieg´ ich und mir laufen Tränen übers Gesicht, als – hinter dem Vorhang neben mir – eine Frau zum ersten Mal ihren Sohn sieht, den sie eben geboren hat. Fabian.

Und ich frage mich, was ist Leben?

Wieder zurück im Krankenzimmer, habe ich eine neue „Nachbarin“. Wie ich aus den Gesprächen der PflegerInnen erfahre, ist sie 84 Jahre alt, hatte vor 6 Jahren einen Schlaganfall und kann seit her nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen und nicht schlucken. Liegt also und wird mit einer Sonde ernährt. No na ist sie eine stille Nachbarin, nur manchmal atmet sie schwer . . ich habe mehrmals das Gefühl, sie müsse ersticken und läute um Hilfe. Sie kann nicht ersticken, wird mir erklärt, woran sollte sie ersticken?

Ich frage mich, ob sie überhaupt sterben kann. Ob sie das nicht lieber möchte und wieder: Was ist Leben? Ist das Leben?

Ich muß demnächst eine Patientenverfügung machen, schießt es mir durch den Kopf. Mich erschüttert der Zustand der Frau neben mir sehr und mich berührt die Freundlichkeit und Professionalität mit der sie behandelt wird. Während der Zeit, in der sie einfach ruhig schläft und ich mich entspanne, gibt es in diesem Zimmer Momente, die einfach nur friedlich sind. Als ich wieder aufstehen darf und sich so unsere Blicke treffen können, stelle ich mich vor, erkläre ihr, dass ich im Bett neben ihr liege . . . ihr Blick ist nicht hier.

Ist das Leben? Vielleicht. SHE kam auch mit in die Klinik und meint, die wichtigere Frage ist vielleicht: Wann ist Leben?

Jetzt. Nur Jetzt. Das macht mir Angst. Und gleichzeitig ist mit der Erkenntnis eine Klarheit verbunden. Eine Kraft.

Es geht nicht darum, Angst vor dem Leben zu haben. Nein. Das Leben folgt dem Leben und dazu gehört der Tod. Das ist so, ob ich es nun in einem Moment gut und im nächsten beängstigend oder ungerecht finde . . . Es ist so.

Die Kunst und Weisheit und vielleicht einzige Chance, ES bewusst zu leben, das Leben, besteht möglicherweise darin, es mit den, mir in dem Moment zur Verfügung stehenden Sinnen – im ideal Fall allen! – zu spüren. Hinzusehen. Hinzuhören, es zu riechen, zu schmecken. Auszukosten.

Und immer wieder zu erkennen, dass es jetzt ein Geschenk ist, mein Leben . . . vielleicht auch, um sich erinnern zu können. Dann.

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