Advent. Voller Phantasie.

Bei mir schneit es, meint er eher grantig. Grantig ist österreichisch und meint übel gelaunt . . . Und das ist er, der Franzl. Er steht am Tisch und schaut zum Fenster hinaus. Und ja, es regnet.

Ich bin leicht verwirrt, schon wieder . . . irgendetwas an dem kleinen Kerl verunsichert mich. Er hat etwas Ruppiges, sehr Direktes. Positiv formuliert könnte man es Pur nennen. Ohne Filter. Wie auch immer, ich frage nach, um Klarheit zu erlangen: Wie, bei Dir schneit es? Du bist doch hier?

Ach Herrje! Ich – Franz von Walden – ein Eoischer – kann hingehen wohin ich will!

Ist ja gut, alles klar und natürlich habe ich das nicht vergessen, meine ich – wieder einmal entschuldigend. Das heißt, Du kannst gleichzeitig hier und dort sein?

Natürlich. Er schaut mich an, merkt wie einschüchternd sein „Grant“ auf mir wirkt – wer jemals einen grantigen Innergebirgler erlebt hat, weiß´ was ich meine – und schüttelt sich. Wie es auch meine Hündin manchmal tut. Und der Grant´ist weg. Abgeschüttelt. Er lächelt mich förmlich an, soweit man das als Mensch bei einem Rehbock, der 5 cm hoch ist, feststellen kann.

Entschuldige, meint er. Ich mag keinen kalten Regen, wenn es doch eigentlich schneien sollte . . . Das verstehe ich und komme dennoch – auch auf die Gefahr hin ihn wieder zu verärgern – nochmals auf das „bei mir schneit es“ zurück. Ich möchte gern wirklich verstehen, was er meint.

Also. Du kannst das auch.

Tatsächlich?

Ja. Du sitzt hier und siehst, so wie ich den Regen. Soweit klar? Ja. Gut! Du hast es also geübt – das wirklich schauen. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich über mich lustig macht. Ich schaue ihn – den Franzl – nun wirklich an – und bin mir sicher, der grinst. Im Ernst, ich bin stolz auf Dich. Du läßt Dich ein. Das tun nur wenige . . . Um Deine Frage zu beantworten . . . nun, Du kannst auch aus dem Fenster sehen und Dir gleichzeitig vorstellen, wie es wäre wenn es schneien würde, oder?

Ja.

Du kannst Dir nicht nur vorstellen, wie es wäre, wenn vor diesem Fenster, anstatt den Regentropfen Schneeflocken fallen würden, sondern Du kannst Dir auch vorstellen, wie Du durch einen verschneiten Wald gehst. Es ist noch leiser als sonst. Du spürst die Haube und deine Hände stecken in warmen Handschuhen, Du hörst das besondere Geräusch, dass deine Schritte auf dem frisch gefallenen Schnee machen. Du siehst sie , die dicken Flocken und spürst es zärtlich feucht, wenn eine in deinem Gesicht landet. Plötzlich gibt ein Ast dem Schnee nach, und eine weisse Wolke rieselt auf den Boden . . . Das alles kannst Du sehen, hören, spüren. Der nächste Schritt, oder vielleicht der übernächste Schritt ist, dort zu sein.

Und das kannst Du? Ich bin erstaunt und beeindruckt. Du kannst wirklich, von jetzt auf gleich, dort sein?

Ja. Ich kann dort sein. Bin dort.

Das will ich auch. Will ich das wirklich?, schießt es mir im selben Moment durch den Kopf. Vielleicht ist es gefährlich. Vielleicht sehe ich dann noch ganz andere Dinge, wie Zwerge, Elfen . . . vielleicht komme ich nicht mehr zurück.

Jetzt lächelt der Franzl milde, ganz in der Art von SHE. Ein tiefes, altes, freundliches Lächeln, bei dem gleichzeitig ein wärmender, unhörbarer Ton mitschwingt. Eoische können immer überall hin. Zurück, vor oder dorthin. Und auch darüber hinaus . . . . und wie gesagt, wir alle haben Lieblingsorte. Er schaut träumerisch in den Regen und ist wohl wieder dort, wo es schneit. Dann räuspert er sich, entschuldigt sich und meint, er möchte nicht seinen Auftrag vergessen. Nimmt wieder Haltung an und spitzt seine Ohren:

Wir hatten bereits: SEI FREUNDLICH ZU DIR und das WIRKLICH SCHAUEN, wiederholt er. Gut, dann würde ich sagen, wir behalten das SEI FREUNDLICH ZU DIR bei und das SCHAUEN erweitern wir. Für die nächste Woche gilt es VOLLER PHANTASIE zu schauen. Erlaube Dir mehr zu sehen, als auf den ersten Blick da ist. Nimm deine Phantasie dazu, gib ihr Raum. Laß´ ihr freien Lauf. Sollte sie Dich allerdings an dunkle Orte führen, pfeiff´ sie zurück und mach ihr klar, wer hier der Chef ist. Das kannst Du ja schon, vom zu Dir Freundlich Sein!

Phantasievoll Schauen. Ich schau´ wohl noch nicht phantasievoll sondern eher doof, denn Franzl meint erklärend, die Phantasie ist die Fähigkeit, die Dir hilft, über die objektive Welt hinauszugehen. Wow. Er überrascht mich immer wieder. Ohne Phantasie kein EO. Sie ist wie der Wegweiser und der Weg zugleich. Und natürlich gilt für Deine Phantasie, wie bei so viele anderen deiner Fähigkeiten, die Voraussetzung, dass sie sich heraus traut, sich zeigt und dann wirkt ist, dass Du freundlich zu ihr bist. Also zu Dir bist! Sie muß sich willkommen fühlen. Wertgeschätzt. Deine Phantasie ist eine Schatzkarte, ein Geschenk. Pack´sie aus!

Ich atme tief durch, mein Blick wandert von dem kleinen, stattlichen Rehbock durchs Fenster hinaus in die Landschaft. Und tatsächlich, es hat begonnen zu schneien . . .

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s