Schatzi! Komm. Gemma?

Ich fuhr mit dem Fahrrad daran vorbei. Blieb nicht stehen. Und doch erinnere ich mich immer wieder in den letzten Wochen an die Szene. Ein Mann und ein Kind, mehr ein „Stöpsel“ von vielleicht zwei Jahren – oder jünger. Einer, der seit ein paar Monaten ohne Hilfe gehen kann und strahlt. Mit seiner Windel etwas unförmig und doch schon sicher im Gang. Ja, er kann sogar laufen!

Der Stöpsel – ein strahlender kleiner Mensch – ist vertieft in etwas auf der anderen Seite der Strasse. Eine kleine Strasse – keine Sorge – befahren vor allem von Radfahrer*innen wie mir. Sein Papa – wahrscheinlich – ist schon ein paar Meter weiter vorne, dreht sich um und ruft: Schatzi!

Nicht laut, nicht genervt, nein. Viel mehr liebevoll, vorsichtig, als möchte er ihn nicht erschrecken. Und doch daran erinnern, dass er – der Papa – auch noch da ist.

Das „Komm“ ist eine Einladung. Vielleicht eine Erinnerung an den ursprünglichen Plan, das Ziel . . . Oder mehr noch, an die Welt, das Sein in dem sich der „Stöpsel“ jetzt befindet.

Gemma? Das ist eine Frage, die um Bestätigung bittet: bleibt es bei dem Ziel, das wir vereinbart haben? Oder ist jetzt etwas anderes wichtiger für Dich? Ja, das „Gemma“ ist völlig offen, absichtslos. Als dürfte sich der Plan auch ändern. Und der Papa steht da, sieht seinen Sohn ruhig an, streckt ihm seine Hand entgegen und wartet dessen Antwort ab. Als würde er sagen,“Wo immer wir auch hingegen, ich gehe mit Dir.“

Ich hatte den Eindruck, dass er – der strahlende, kleine Mensch – erst bei „Gemma?“ wieder hier war. Wahrgenommen hat, wo er sich befindet. Und dann dreht er sich um, folgt der Stimme und als würde er den großen Menschen – wieder – erkennen, strahlt er ihn an. Und nützt seine neue Fähigkeit – das Laufen – und startet los. Mit einem Lachen, das dieses kindliche Quietschen erzeugt, ein Glucksen, das mir Freudentränen in die Augen treibt. Vielleicht war es das in dieser Sequenz, die wahrscheinlich nicht einmal eine Minute dauerte und doch etwas Zeitloses an sich hatte: als würde sich hier eine Seele ihres neuen Körpers bewußt werden. Dieses Kind strahlte nicht nur Freude, großes Interesse und Begeisterung aus, sondern es hatte etwas wie eine Aura, einen Raum um – mit – sich.

Der Vater agierte wie ein normaler, liebevoller Erwachsener. Keine übertriebene Vorsicht, Ehrfurcht oder strenge Normalität. Sondern er war einfach ein aufmerksamer Mensch, der dem Teil in sich, der auch einmal dieses Kind war, einen Platz gibt. Auf ihn hört. Unbewusst bewusst.

Eben deshalb erinnerst Du dich, meint SHE.

Und natürlich hat sie recht. Was ist heute, der letzte Sonntag vor dem Advent . . . ? Advent. Weihnachten. Ja, da geht es auch um dieses Kind. Ein Kind, das im Grunde vielleicht nichts anderes tut, als uns zu erinnern, dass wir Menschen – Mitmenschen – sind, die etwas in sich tragen, das lange, sehr lange vor dem Mensch Sein schon da war und lange darüber hinaus. Einen Schatz.

In diesem Sinn, danke ich dem „Stöpsel“, dem aufmerksamen großen Menschen daneben und dem Schicksal, dass ich es erleben durfte. Und den Zauber darin erkannte . . .

P.S. Advent ist übrigens eine gute Zeit, sich – bewusst – auf die Suche nach Zauberhaftem zu machen 😉

P.P.S „Schatzi“: umgangssprachlich für Liebling, Schatz. Herkunft: mittelhochdeutsch scha(t)z, althochdeutsch scaz „Geld, Vermögen, Vieh“. Das Wort ist seit dem 8. Jahrhundert belegt. „Gemma“ umgangssprachlich Österreichisch für „gehen wir“, Aufforderung zu gehen. Das wohin und wozu obliegt übrigens Dir.

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